Dirk Bernemann – Trisomie so ich dir [Buchrezension]

Klappentext

Roy hat ein Herz aus Pudding, Solveig züchtet Illusionen und Ingeborg muss am Ende ihres Lebens ihre Liebe halbieren. Die Leben dreier Menschen kollidieren, antriebsgestört, gefühlsüberfüllt und impulsbescheuert. Dabei passieren unnacherzählbare Dinge, bei denen nicht nur Gott lieber wegschaut.

Dirk Bernemann erzählt die verstörenden Biographien von drei Zufallsexistenzen, deren Lebenswege wie Regentropfen an der Fensterscheibe zusammenlaufen. Dazu benutzt er eine Sprache, die gleichzeitig dokumentiert und herzergreifend berührt.

„Die alte Frau denkt sich, wie sie Roy so ansieht und ihn mit ihren Geschichten ohrfeigt, was er denn schon von der Welt weiß und traut ihm lediglich Kindergefühle wie Geburtstagschönfinden oder Eisdielenwarteschlangengefühle zu. Ja, denkt sich Roy, was weiß denn er schon von der Liebe, außer das sie das Großartigste, Erstrebens- und Erlebenswerteste ist, was er sich in seinem Kopf zurechtphantasieren kann.“

 

Auch wenn die Protagonistenrolle in Trisomie so ich dir nicht klar definiert ist, ist es wohl Roy, der die Geschichte irgendwie zusammenhält und damit wohl die Hauptfigur darstellt. Zusätzlich leidet Roy an der titelgebenden Trisomie 21 – dem Down Syndrom. Er erlebt die Welt auf seine eigene, andere Art und Weise, immer seinen eigenen Gefühlen und Emotionen folgend.

So sieht auch sein erstes Zusammentreffen mit der zweiten „Hauptfigur“, Solveig aus. Er sieht das rothaarige Mädchen auf dem Parkplatz eines Supermarktes und wird sofort von seinen Gefühlen zu ihr überwältigt. Nachdem der erste verzweifelte Versuch, die Aufmerksamkeit des rothaarigen Mädchens zu gewinnen misslingt (er legt sich auf besagtem Parkplatz vor ihr Auto), kann er die wippenden Locken Solveigs nicht vergessen und schmachtet ihr in Gedanken seitdem hinterher.

Solveig selbst steckt ebenfalls in einer Identitätskrise. Nachdem sie von Emil, ihrer ersten großen (durch das Internet entstandenen) Liebe, versetzt wurde, kanalisierte sie ihre Trauer in Sex und Alkohol. Immer auf der Suche die so ersehnte Tiefgründigkeit ihres Seins zu entdecken und sich über die allgemeine Nichtigkeit in dieser Welt hinwegsetzen zu können.

Solveig wiederum ist die Nachbarin von Ingeborg. Ingeborg lebt mit ihrem Mann, welcher nach einem Schlaganfall im Sterben liegt, zusammen. Ihre Hauptaufgabe besteht darin, ihrem Mann die letzten lebenden Tage so lebenswert wie möglich zu gestalten, was bedeutet, dass ihr Tagesablauf von Routinen bestimmt wird. Und genau das ist das Problem von Ingeborg. Die Eintönigkeit des Lebens.

So errichtete Dirk Bernemann ein Konstrukt zerrütteter Menschen, die alle auf ihre eigene Art und Weise mit der Welt auf Kriegsfuß stehen und alle auf verschiedene (teilweise doch etwas konstruierte) Weise miteinander zu tun haben.

Leseprobe:

Unter der Haut seiner Mutter, so weiß Roy, da findet auch Schmerz statt, man sieht es häufig an ihren irren Blicken, die derart mit Traurigkeit ausgeschmückt sind, dass sich Roy, sobald diese Blicke ihn treffen, auf einer ewigen Beerdigungsfeier wähnt. In diesen Blicken finden aber ebenso aggressive Anklage, allgemeiner Weltschmerz und etwaiges Desinteresse am Leben anderer statt. Seinen Vater nimmt Roy als nahezu mimiklos war. Sehr häufig starrt er stundenlang irgendetwas an, was Roy nicht sehen kann. Irgendetwas, was wohl im Raum schwebt und den Vater derart fasziniert, dass er den Blick davon nicht lassen kann.

 

(Sehr) persönliche Meinung:

Als ich den Prolog – von Dirk Bernemann total fesch „Vorfilm“ genannt – gelesen hatte, war ich zugegebenermaßen etwas sauer. Einen pauschaleren Rundumschlag hab ich bis jetzt noch in keiner Roman irgendwo gelesen. Auf gut zwei Seiten gräbt Bernemann so viele Anti-Welt, Anti-Menschen und Anti-Großstadt Klischees aus, dass er frühere Naturalisten alt aussehen lässt. Auf mich wirkte es auf jeden Fall weniger kritisch, als mehr als plumpe Provokation. Auch wenn ich mich nach diesen ersten zwei Seiten wieder um Objektivität bemühte, muss ich wohl eingestehen, dass Trisomie so sich dir ab hier schon einen schweren Stand bei mir hatte.

Dirk Bernemann wird ja oft wegen seiner Wortgewalt hochgelobt und eins muss man ihm lassen: Wortgewaltig ist er! Für mich allerdings eindeutig ZU wortgewaltig. Es gibt kaum einen Satz, der sich „normal“ lesen lässt. Das hängt zum einen an der sehr eigenen Satzstruktur Bernemanns, zum anderen an den ganzen Neologismen und Metaphern, die er verwendet. „Puddingherz“ und „Eisdielenwarteschlangengefühle“ bilden dabei gerade mal den Durchschnitt des Wort-Feuerwerks, welches Bernemann in seinem Roman abbrennt. Seine Stärke hat diese Schriftsprache dabei ganz klar bei der Darstellung von Gefühlen, um wirklichen Inhalt bzw. eine Story zu vermitteln, ist sie allerdings eher unbrauchbar. So werden bei den Personen – vor allem bei Roy, als sehr gefühlsbetonten Mensch – die Emotionen in sehr plastischer Art und Weise dargestellt, was hilft, sich selbst als Leser in die Gedanken hineinzufühlen.

Als Fazit muss ich leider sagen, dass Trisomie so ich dir gar nichts für mich war und ich es daher auch nicht weiterempfehlen kann. Die Fokussierung auf die besonders ausschweifende Darstellung von Gefühlen und Gedanken ohne eine wirkliche Story, ist einfach nichts für mich. Auf mich wirkt der Erzählstil einfach zu aufgesetzt. Als ob Bernemann in der Vergangenheit zu viel Lob für diese Fähigkeit bekam und diese nun mal konzentriert in einem Buch ausleben wollte. Ich will nicht ausschließen, dass dieser Stil auch diversen Menschen gefällt (positive Kritiken über dieses Buch gibt es ja auch zur Genüge), von mir reicht es allerdings nur für 2 von 5 Punkten.

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In diesem Sinne …

.. just my 2 cents ..

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